Trends auf dem Behördenwaffenmarkt

Waffentrends _ Behördliche Bewaffnung ist aus gleich mehreren Gründen derzeit fast schon ein Mainstreamthema geworden. Dabei spielt der russische Angriffskrieg in der Ukraine eine große Rolle, aber auch Terrorismus, Extremismus und politische Streitigkeiten in zahlreichen Regionen der Welt führen zu regen Aktivitäten in der Branche. Allein deshalb lohnt ein Blick auf einzelne Trends.
Ein Mann mit Mund-Nasen-Schutz hält eine taktische Waffe in der Hand auf einer Messe
Selbstverständlich mit Reflexvisier und Schalldämpfer: die Maschinenpistole CZ Scorpion Evo 3. © Prof. Dr. Stephan Humer
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Denn einerseits sind grundlegende Dinge in Bewegung geraten, nicht nur aufgrund der spannungsbedingten Erfahrungen aus den vergangenen Jahren. Andererseits gilt aber auch: Früher war nicht alles schlecht. So gibt es beispielsweise erstaunlich zähe „Evergreens“, die in ihren x-ten Frühling starten. Ein besonders prominenter Fall ist das Kaliber 9 x 19 mm: in der jüngeren Vergangenheit wurde es gern kleingeredet und als überholt dargestellt, doch bei zahlreichen Herstellern sind Waffen in diesem Kaliber behördlich immer noch Topseller. Auf die Frage nach den Vorlieben der Käufer in Sachen Maschinenpistolen antwortete jüngst ein Mitarbeiter von Heckler und Koch, dass die MP5 – unbestritten seit Jahrzehnten eine dienstliche Legende – ebenso beliebt sei wie die MP7 im moderneren Kaliber 4,6 x 30 mm. Als Beispiel kann hier die Berliner Polizei dienen, die sich zwar einige MP7 zulegte, jedoch ihre MP5-Bestände trotz alledem modernisierte. Die MP5 ist gegenwärtig in dieser Form auf den Straßen Berlins im polizeilichen Einsatz immer wieder anzutreffen, aufgerüstet mit Optik, Sturmgriff und zwei miteinander verbundenen 30-Schuss-Magazinen.

9 x 19 ist dienstlich also keineswegs tot. Das sieht man auf nationalen und internationalen Messen wie der Enforcetac und der Shot Show sehr deutlich: So bot Carl Walther auf der Messe in Nürnberg in diesem Jahr reihenweise interessante Dienstwaffen an – allesamt im Kaliber 9 mm. (Die Walther PPQ im Kaliber .45 scheint, zu meinem großen Bedauern, somit eine einsame Ausnahme zu bleiben, was aber im deutschen Behördenalltag ohnehin keine Rolle spielt, denn hierzulande sind solche „Wildwest“-Kaliber kaum ein Thema.) Besonders interessant ist derzeit sicherlich die Walther PDP: Das Kürzel steht als Akronym vielsagend für „Performance. Duty. Pistol.“ und als Metapher laut Hersteller für „die modularste und vielseitigste Pistole, die Walther je gebaut hat.“ Und tatsächlich bietet sie viel: vom ohnehin schon guten und nun nochmals verbesserten Abzug über die ebenfalls verbesserte Oberflächenstruktur des Griffstücks bis zur Aufnahmemöglichkeit von Rotpunktvisieren samt Co-Witness-Sights. Austauschbare Griffrücken, beidseitige Bedienbarkeit und weitere bewährte Features verstehen sich bei dieser Waffe von selbst. Man merkt: Walther will hier seine Dienstwaffenposition deutlich stärken. Eine Behörde, die aufgrund ihrer internen Vorgaben zuschlagen könnte, sollte sich diese Pistole auf jeden Fall einmal genauer anschauen.

Eine Kurzwaffe PDP von Carl Walther
Walther macht mit: Behördlich besser schießen und treffen mit Reflexvisier und Lichtmodul. © Carl Walther

Mit ihrer „Optics ready“-Eigenschaft knüpft die Walther PDP an einen der großen Modernisierungstrends an: Reflexvisiere für alle nur denkbaren Benutzergruppen. In den USA ist man dienstlich in Sachen Red Dots (wieder mal) recht weit, denn nicht wenige Polizeibehörden rüsten nun auch Nicht-Spezialkräfte mit diesen Visierhilfen aus. Somit erhält ein bei Sportschützen und Jägern immer beliebteres (und ohne jeden Zweifel äußerst hilfreiches) Zubehör eine deutlich größere Verbreitung: auch Streifenpolizisten führen nun immer häufiger Kurzwaffen mit Reflexvisierung. Die Vorteile liegen hier auf der Hand: während Spezialkräfte in aller Regel vorab wissen, worauf sie sich in der jeweiligen Lage einlassen und wie sie reagieren sollen (und können), ist eine optische Visierhilfe insbesondere im täglichen Streifendienst eine enorme Erleichterung, denn dort lauern vorrangig die bösen Überraschungen – und jeder Schuss zählt. Wer jemals Bodycam-Videos von Schusswaffeneinsätzen US-amerikanischer Polizisten gesehen hat, kann gut nachvollziehen, wie wichtig ein gleichermaßen effektiver wie effizienter Einsatz der gegebenen Mittel ist.

Mehrere Glock-Kurzwaffen vor grauem Hintergrund und Rot-Gelbem Boden

Maßgeblich zum aktuellen Trend dürfte das Los Angeles Police Department beigetragen haben, welches sich im vergangenen Jahr nicht nur für eine Pistole mit Reflexvisierung als Dienstwaffe entschied, sondern auch einer Waffe den Vorrang gab, deren Hersteller beispielsweise in Deutschland dienstwaffentechnisch bisher nicht so präsent war: der 509 MRD-LE von FN. Dass bei dieser Waffe auch alles andere mindestens auf der Höhe der Zeit, wenn ihr nicht sogar voraus ist, versteht sich in diesem Falle fast schon von selbst: Knochentrockener Abzug, 17 Schuss Kapazität, um die 750 Gramm Gewicht – das klingt vertraut. Ein 20.000-Schuss-Belastungstest mit null Fehlfunktionen, insgesamt über eine Million Schuss während des Tests der 509-Plattform, eine der vielseitigsten Visier-Montagemöglichkeiten auf dem Markt – das klingt spannend. Und in der Tat: die bisherigen Test- und Erfahrungsberichte lesen sich allesamt sehr positiv bis geradezu euphorisch. Gelobt wird dabei immer wieder nicht nur die Präzision, sondern auch die Zuverlässigkeit. So schreibt der US-amerikanische Schießtrainer Todd Fletcher: „Ich habe sie nie gereinigt, und sie wurde selbst bei diesem Missbrauch immer besser. Insgesamt habe ich rund 2.000 Schuss damit gemacht, und sie war nach 2.000 Schuss besser als nach dem ersten Schuss.“ Das macht neugierig, auch wenn manche Waffenbesitzer so eine grobe Behandlung grundsätzlich als verwerflich ansehen dürften. Doch für einen Polizeibeamten kann es im Falle eines Falles nichts Besseres geben als eine Dienstwaffe, die nie versagt. Deshalb gilt auch hier für alle Behördenvertreter und Entscheider: anschauen und selbst testen!

Selbstverständlich bekennen sich auch andere Hersteller mit entsprechenden Produkten zu „Optics ready“: genannt seien hier beispielsweise HKs neue SFP9 OR (Optical Ready) oder die schon seit einiger Zeit auf dem Markt befindliche Glock 48 MOS (Modular Optic System), aber auch für den deutschen Markt eher seltenere Waffen wie die auf der diesjährigen Shot Show vorgestellte Mossberg MC2sc sind entsprechend ausgestattet. Die Auswahl ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich größer geworden, und das wird sich aller Voraussicht nach auch nicht ändern. Die Richtung ist klar: Kimme und Korn wandern zunehmend in die zweite Reihe. Als Backuplösung wird die offene Visierung stets ein Thema bleiben, das dürfte klar sein, doch die Vorteile moderner Reflexvisiere sind inzwischen einfach zu offensichtlich. 

Heckler & Koch Pistole
Von den Sportpistolen komm ich her: „Optical Ready“ lautet das Motto bei HKs SFP 9 Match OR, aber längst beschränkt sich die Reflexvisier-Nutzung nicht mehr nur auf sportliche Waffen. © Heckler & Koch

Interessant ist insgesamt die Verbindung dieser hochmodernen Visierlösungen mit einem tatsächlich klassischen Kaliber, zu dem – zumindest gefühlt – technisch und hinsichtlich der Anwendung eigentlich schon alles gesagt worden ist. Doch die Munitions- und Waffenentwicklung ist auch hier in der Lage, immer noch etwas mehr herauszuholen, wie man anhand der hier erwähnten Waffen sehen kann. Genau diese Kombination von „Klassik“ und „Moderne“ macht die derzeitige Marktentwicklung so interessant, denn nicht alle Trends und Erwartungen entwickelten sich so, wie manche Auguren es prognostizierten. Mit der ein oder anderen Überraschung ist deshalb auch in Zukunft zu rechnen. Die nächsten Jahre dürften definitiv spannend bleiben. 

Über den Autor/in

Prof. Dr. Stephan Humer

Prof. Dr. Stephan Humer

… ist Professor in der digitalen Sicherheitsforschung an der Hochschule Fresenius Berlin und sozio-technischer Waffensachverständiger, d. h. interessiert an allen Themen rund um Schusswaffen und Gesellschaft. Er ist Gründungsvorsitzender (2013-2021) des Netzwerks Terrorismusforschung e. V. und dortiger Koordinator der Spitzenforschung. Außerdem ist er als Gutachter für Politik, Behörden und Unternehmen tätig.