Göttervater 2.0: Anschlagschaftsystem Odin II

Manchmal reicht eine Pistole nicht. Sei es aus Gründen der Präzision, der Montagemöglichkeiten oder auch einfach der Verminderung des Rückstosses beim Schießen: einer oder mehrere Gründe für entsprechendes Waffentuning lassen sich schnell finden. Doch was tun, wenn man die technischen und baulichen Möglichkeiten der Waffe erweitern will, die Waffe selbst aber dabei schnell an ihre Grenzen kommt?
Dunkel gekleideter Mann mit Pistole, die im Anschlagschaftsystem Odin II eingebaut ist.
© Donaustahl
Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on xing
Share on whatsapp
Share on email

Der moderne Anschlagschaft

Wer nicht – wie behördliche Nutzer – leicht auf eine Maschinenpistole oder einen Pistolenkarabiner zurückgreifen kann oder will, der muss sich eine andere Alternative suchen. Und die ist heutzutage gar nicht mehr so schwer zu finden, denn die inzwischen wohl gängigste Lösung ist ein moderner Anschlagschaft. Heutige Angebote haben nicht mehr viel mit den sperrigen, schweren und wenig komfortablen Lösungen der vergangenen Jahrzehnte zu tun. Wer sich heute für einen Anschlagschaft interessiert, denkt schon lange nicht mehr an Heckler und Kochs VP70 oder Mausers C96. Moderne Lösungen entsprechen eher dem AR15-Stil, mit vielen Montagemöglichkeiten, cleveren Einspannsystemen und zeitgemäßer Ergonomie, die Handling und Präzision gleichermaßen fördern. Idealerweise kann nicht nur eine bestimmte Waffe in ein modernes System eingespannt werden, sondern der Schütze hat mehrere Möglichkeiten, seine Pistolen in ein flexibles Trägersystem einzupassen. Das ist angesichts der üblichen Preise ein Vorteil, der für viele Schützinnen und Schützen von besonderem Interesse sein dürfte. Denn sonst heißt es im schlimmsten Falle: pro Waffe ein Anschlagschaft. Das geht allerdings schnell ins Geld, auch bei den zwei üblichen Kurzwaffen pro Sportschütze.

Das Anschlagschaftsystem Odin II auf dem Tisch liegend umgeben von Munition und einem Magazin
©Donaustahl

Universell einsetzbar: Odin II

Ein System, welches in der Vergangenheit eine solche Offenheit bot, ist der inzwischen ausverkaufte Anschlagschaft „Odin“ der Firma Donaustahl aus Hutthurm in Bayern. Doch die Entwickler aus dem Süden Deutschlands haben aufgrund des Erfolges des ersten Systems bereits den Nachfolger am Start, der im Rahmen einer Expertenrunde Ende März in Bayern vorab exklusiv getestet werden konnte. Der „Odin II“, um das vorwegzunehmen, knüpft direkt an die Tradition maximaler Universalität an und soll erneut das Anschlagschaftsystem für alle Handfeuerwaffen mit Picatinny- oder HK-Schiene sein. Dabei verspricht der Hersteller Lösungen für so ziemlich alle marktüblichen Pistolen: wenn keine Passung gegeben ist, sind Adaptersysteme in Kürze verfügbar (u. a. für Colt 1911, CZ 75-B, Beretta 92FS und die Behördenversion der Sig P226) oder kurzfristig konstruierbar. 

Odin II im Test

Das System selbst nahm beim ersten Test die vorliegenden Pistolen im Kaliber 9 mm Para, eine CZ Shadow Viper, eine Sig P226 X-Five Allround, eine Walther Q5 SF Match, eine Sig P226 TacOps 2 und – aus Sicherheitsgründen für das Pressefotoshooting ausgesuchte – Airsoftwaffen problemlos auf. Die Montage war einfach und mit wenigen Handgriffen erledigt. Mit etwas Übung kann sie auf wenige Sekunden reduziert werden, was nicht unbedingt für Sportschützen, jedoch für behördliche Anwender von Interesse sein könnte: ist die in deutschen Polizeibehörden beliebte und sehr weit verbreitete Maschinenpistole, beispielsweise die klassische MP5, nicht griffbereit, so kann die mitgeführte Dienstpistole schnell eingespannt und damit taktisch aufgewertet werden. Denn Odin II bietet zahlreiche Montagegelegenheiten, beispielsweise für Griffe, Reddot-Systeme, Hülsenfangsäcke, Laser- und Lichtmodule (bei behördlicher Anwendung). Insgesamt vier Picatinny-Schienen sind integriert: oben, unten und jeweils an der Seite des Systems. Hinzu kommt ein Mündungsfeuerdämpfer, der auch abmontiert werden kann.

Dabei ist das Design erneut maximal minimalistisch, um so vielen Waffen wie möglich eine Einspannung zu erlauben. Die Lauflänge ist dabei nachrangig, auch Zehn-Zoll-Großkaliberwaffen finden im System Platz. Der Entwurf ist allerdings wesentlich gefälliger als die erste Ausführung, die vielleicht problemlos ihren Zweck erfüllte, jedoch nicht gerade ein Augenschmeichler war. Ästhetische Herausforderungen dieser Art sind jetzt nicht mehr zu befürchten: Odin II erfreut optisch mit einer sinnvollen Formgebung und Linienführung, ist aus Stahl und Aluminium konstruiert, komplett in schwarz gehalten und bietet neben dem bereits erwähnten Mündungsfeuerdämpfer eine moderne Schulterstütze von Schmeisser (welche jedoch auch individuell ausgetauscht werden kann, zudem steht nach Auskunft des Herstellers auch noch nicht fest, mit welcher Schulterstütze das System dann ausgeliefert wird). Dabei ist Odin II an sich sehr kompakt gehalten und gefällt, anders als der Vorgänger, auch in dieser Hinsicht.

Und so konnten die zwei Vorseriengeräte Anfang März zwei Tage lang auf einer bayerischen Schießanlage auf Herz und Nieren getestet werden. Das Ergebnis: weder der Anschlagschaft noch die Pistolen machten nach insgesamt über 2.000 Schuss schlapp. 

Ein Soldat in Kampfkleidung mit einer Pistole, im Anschlagschaftsystem Odin II
© Donaustahl

Pro und Contra

Weder die behördlichen Anwender noch der als Waffensachverständiger beauftragte Autor konnten sich über die Leistungsfähigkeit des Systems beklagen. Die drei Grundideen eines Anschlagschafts – Vergrößerung der Reichweite bei gleichzeitiger Treffergenauigkeit, Montagemöglichkeiten für Zubehör und Steigerung der Kontrollierbarkeit – waren allesamt einwandfrei gegeben. Doch auch andere Dinge fielen positiv auf. So lobten einige Nutzer das erfreulich niedrige Gewicht von knapp 750 Gramm, welches das System in Kombination mit einer üblichen Dienstpistole wesentlich leichter als beispielsweise eine MP5 macht. Je weniger Gewicht man insbesondere im dienstlichen Alltag mitschleppen muss, desto besser, insbesondere wenn die Leistungsfähigkeit des Systems darunter nicht leidet, so wie es hier laut der fleißigen Tester durchweg der Fall war. Positiv wurde ebenfalls ein Kernaspekt der Anschlagschaftnutzung bewertet: die Bewegungsabläufe an der Waffe, also dem Kernelement des Systems, bleiben gleich. Das ist ein Sicherheitsvorteil, denn die Nutzer müssen sich nicht an ein neues System gewöhnen. Somit „sitzen“ die Abläufe, jedoch bei entsprechender Wertsteigerung durch die Gesamtkonzeption. Dies war insbesondere bei Ladetätigkeiten der Fall. Und auch eine Bedienung mit Handschuhen war möglich.

Kritisiert wurde, dass die Schulterstütze nicht durch einen Verriegelungsmechanismus abgesichert wurde, so dass sie sich gegebenenfalls nach höherer Schusszahl lockert und damit „frei dreht“. Außerdem wurde angemerkt, dass man als Schütze eventuell verleitet ist, Finger in der Nähe des Mündungsfeuerdämpfers zu platzieren, was aufgrund der austretenden heißen Gase eine gewisse Gefahr bergen könnte. Des Weiteren überzeugte nicht alle Anwesenden die Minimallösung des Odin II, der sogenannte „Basisanschlagschaft“ ohne MFD und Reddot-Visier. Das System wirke „unfertig“, so ein Teilnehmer, und ohne die schützenden Anbauteile ergab sich eine gewisse Sperrigkeit und die Gefahr des Hängenbleibens an Ausrüstungsgegenständen oder Kleidung. Das sind jedoch eher militärische oder polizeiliche Sorgen, denn in der maximal reduzierten Variante ohne die genannten Anbauteile dürfte der 

Odin II in der Tat vorrangig für Jetbesatzungen oder Fahrzeugführer mit entsprechenden Platzproblemen in Sachen Ausrüstung ein Thema sein.

Ein Schütze am Schießstand mit Gehörschutz, der gerade eine Pistole abfeuert
© Donaustahl

Fazit

Insgesamt wirkten bereits die Vorserienmodelle des Odin II überzeugend, sowohl optisch als auch technisch. Die behördlichen wie auch privaten Anwender waren insgesamt hochzufrieden, so dass das System Odin II mit entsprechenden Vorschusslorbeeren in den Handel starten kann. Es ist dem System zu wünschen, dass es nun nicht nur diesen ersten Test, sondern auch im Wettbewerb erfolgreich besteht. Da der Hersteller nach dem Überraschungserfolg des Odin I allerdings sowohl entsprechende Kompetenzen als auch die dazugehörige Erfahrung mitbringt, sind die Ausgangsvoraussetzungen sehr gut. Die unverbindliche Preisempfehlung für Endkunden wird unter 600 Euro liegen. 

Nähere Informationen gibt es beim Hersteller Donaustahl.

Über den Autor/in

Prof. Dr. Stephan Humer

Prof. Dr. Stephan Humer

… ist Professor in der digitalen Sicherheitsforschung an der Hochschule Fresenius Berlin und sozio-technischer Waffensachverständiger, d. h. interessiert an allen Themen rund um Schusswaffen und Gesellschaft. Er ist Gründungsvorsitzender (2013-2021) des Netzwerks Terrorismusforschung e. V. und dortiger Koordinator der Spitzenforschung. Außerdem ist er als Gutachter für Politik, Behörden und Unternehmen tätig.