Einzelmaßnahmen gegen Terroranschläge mit Legalwaffen?

Zwei Kollegen sprachen jüngst mit mir über eine noch unveröffentlichte Studie, die sie durchgeführt hatten, und ihre Erkenntnisse waren äußerst erhellend:
Ein Mann von hinten, wie er auf einen Pinnwand voller Zettel mit Zahlen,Tabellen und Grafiken schaut
Ein Blick in Forschungsergebnisse erleichtert die Wahrheitsfindung: Waffenmissbrauch ist häufig eine Frage der Kultur. © Pegels
Share on facebook
Share on twitter
Share on linkedin
Share on xing
Share on whatsapp
Share on email

Sie waren weltweit auf der Suche nach einem klaren Zusammenhang zwischen Waffengesetzen und dem Auftreten von Terroranschlägen mit ebendiesen Waffen – und fanden anscheinend keinen. Am Ende stand fest: ob Terrorismus stattfindet, liegt in den allermeisten Fällen nicht an besonderen Einzelmaßnahmen (z. B. Magazinkapazitäten, Kaliberverboten oder „Sturmgewehr-Bann“), sondern an der jeweiligen Kultur der Gesellschaft. Das ist jetzt eine sehr grobe Zusammenfassung, aber wir haben ja auch „zwischen Tür und Angel“ über die ersten Analyseergebnisse gesprochen und nicht bereits über das veröffentlichte Paper. Ich bin sehr gespannt auf das finale Ergebnis!

Zu befürchten ist, dass diese Studie nach ihrer Veröffentlichung zwar theoretisch – wie schon so einige Erkenntnisse aus vorherigen Arbeiten der Rechts-, Sozial- oder Geschichtswissenschaft – den Verfechtern von immer engeren rechtlichen Rahmenbedingungen für Legalwaffenbesitz den Wind aus den Segeln nehmen könnte, diese Menschen jedoch schlicht und ergreifend ignorieren werden, was hier herausgefunden wurde. Denn wir befinden uns bei dieser Debatte längst auf der Ebene eines Kulturkampfes. Mit Sachargumenten ist an etlichen Stellen kaum mehr durchzudringen. Follow the science? Beim Thema Waffen fällt das vielen sehr schwer.

Dabei ähneln sich sehr viele Erkenntnisse und auch die Geschichte zeigt, dass die knallharten Verbotsverfechter im Grundsatz falsch liegen: Von privat besessenen Waffen geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Gefahr aus, die über dem Level von nicht mehr mess- bzw. beherrschbarem Grundrauschen liegen dürfte. Soll heißen: es kann beispielsweise zu einem Terroranschlag mit einer legal besessenen Waffe kommen – oder eben auch nicht. Eine direkte Herleitung nach dem Motto „Wenn Waffe als Bedingung X und dazu noch eine andere Bedingung Y, dann Terroranschlag“ wäre wissenschaftlich wie gesellschaftlich höchst wünschenswert, allein schon aus Gründen der zielführenden Risikominimierung, doch so eine Formel gibt es leider nicht und es wird sie wohl auch nie geben. Und das ist, ganz abstrakt gesprochen, auch gut so, denn in der Endkonsequenz würde dies die Berechenbarkeit der Menschheit bedeuten.

Sollte es jedoch wider Erwarten zu einer vernünftigen Diskussion mit einem Hardcore-Legalwaffengegner kommen, dann wird heutzutage früher oder später ein neues Argument auftauchen: stochastischer Terrorismus. Im Deutschlandfunk wurde dieses Phänomen vor einigen Wochen wie folgt erklärt: „Stochastischer Terrorismus beschreibt, dass eine anstachelnde Rede einen Gewaltakt wahrscheinlicher macht, auch wenn nicht vorhersagbar ist, wer den Akt wann und wo ausführen wird.“ Salopp ausgedrückt: wer den Kneipenschläger nur lange genug ärgert, bekommt irgendwann mit ziemlicher Sicherheit eins auf die Mütze. Wissenschaftlich verpackt mag das seriös klingen, jedoch ist auch dieses Konzept kein Sieger-Argument. Denn erstens wissen wir trotz wohlklingender Bezeichnung des Phänomens immer noch nicht, wann etwas zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und Formelhaftigkeit geschehen wird – doch genau das ist wichtig. Hier haben wir jedoch leider nicht mehr als ein gefälliges Raunen: „Irgendwann gibt’s was“ – das ist im Kern so banal wie nutzlos. Und zweitens verführt die Formel zu gefährlicher Komplexitäts- und damit Wirklichkeitsreduktion, und zwar in einem Bereich, wo genau das Gegenteil gebraucht wird. Niemand von uns möchte Waffen in den falschen Händen sehen. Aber privater Waffenbesitz ist nicht grundsätzlich ein Weg in den Terrorismus. Wer die Menschen schützen will, so die Studie, muss sich vor allem der Kultur einer Gesellschaft widmen. Gut zu wissen, dass damit keine Verbotskultur gemeint ist.

Über den Autor/in

Prof. Dr. Stephan Humer

Prof. Dr. Stephan Humer

… ist Professor in der digitalen Sicherheitsforschung an der Hochschule Fresenius Berlin und sozio-technischer Waffensachverständiger, d. h. interessiert an allen Themen rund um Schusswaffen und Gesellschaft. Er ist Gründungsvorsitzender (2013-2021) des Netzwerks Terrorismusforschung e. V. und dortiger Koordinator der Spitzenforschung. Außerdem ist er als Gutachter für Politik, Behörden und Unternehmen tätig.