Arbeitszeiterfassung – eine Scheindiskussion?

Pflicht zur Erfassung_ Das Bundesarbeitsgericht hat ein wegweisendes Urteil gefällt: Eine (elektronische) Arbeitszeiterfassung ist künftig Pflicht. „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann“, heißt es.
In einem modernen Treppenhaus geht eine Frau an einer Stechuhr vorbei und stempelt sich ein
© u_h0yvbj97 / Pixabay
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Nach diesem aktuellen BAG-Urteil vom 13. September 2022 (1ABR 22/21) sind Arbeitgeber nun also verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Bisher mussten nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das ändert sich nun. Ändert sich damit aber auch das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer? In Zeiten von mobilem Arbeiten und Homeoffice eine spannende Frage, denn gerade in den vergangenen zwei bis drei Jahren gab es mit der sogenannten „Vertrauensarbeitszeit“ doch verhältnismäßig wenig Kontrolle und bürokratischen Papierkram, wenn es um effektives bzw. produktives Arbeiten ging. Doch laut Begründung der Richter ist die Zeiterfassung auch „Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung“. 

www.bundesarbeitsgericht.de 

Die Entscheidung des BAG wird zwar Auswirkungen auf die betriebliche Praxis haben (von den Arbeitsschutzbehörden können künftig Zeiterfassungssysteme eingefordert werden, was die Überwachung und damit die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes transparenter sowie nachprüfbarer macht), allerdings sind die konkrete Ausgestaltung und die Handlungsfelder bisher weniger deutlich. Daher sind Fachleute der Meinung, dass die Möglichkeit zur Arbeitszeiterfassung gerade bei den diversen flexiblen Arbeitszeitmodellen des derzeitigen Trends zur „New Work“ wohl auch verpflichtend, aber mitunter unklar in der praktischen Umsetzung sein wird. 

Prof. Dr. Tim Brüggemann, Prorektor für Online-University, Fernstudium und Weiterbildung an der Fachhochschule des Mittelstands (FHM), beispielsweise ordnet das Urteil wie folgt ein: „Bei der aktuellen Diskussion zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung handelt es sich in erster Linie um eine juristische Diskussion im Sinne des Arbeitsschutzes. Dadurch soll verhindert werden, dass einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei flexiblen Arbeitssituationen, wie zum Beispiel Homeoffice, pro Tag oder pro Woche zu viel arbeiten. Ich halte dies für eine Scheindiskussion und für eine anachronistische Diskussion, denn im Zuge von „New Work“ wird es zukünftig immer weniger um quantitative Zeiterfassung gehen, sondern vielmehr um qualitative Arbeitsergebnisse. Zukünftig wird es immer mehr Aushandlungsprozesse zwischen Arbeitgeber/-innen und Arbeitnehmer/-innen darüber geben, zu welchen Meilensteinen wir eigentlich welche Arbeitsergebnisse benötigen. Und dann kann jeder Mitarbeitende selbst bestimmen, wie lange er pro Tag oder pro Woche darauf verwendet, um dort hinzukommen – denn man hat sich ja bereits auf das Arbeitsergebnis und das Abgabedatum verständigt. Die Wege dahin sind bei jedem ganz individuell, weil jeder so, wie er individuell anders lernt, auch individuell anders arbeitet. Jede Work-Life-Balance sieht bei jedem anders aus. Wichtig ist nur, dass wir uns auf qualitative Arbeitsergebnisse in bestimmten Zeiträumen verständigen. So geht die Arbeit in Zukunft.“ 

www.fh-mittelstand.de

Definition „New Work“

New Work steht für einen strukturellen Wandel der gesamten Arbeitswelt geprägt durch Digitalisierung und Globalisierung. Im Zentrum stehen die veränderten Bedürfnisse von Arbeitnehmern. Die neue Arbeitswelt steht für größere Selbstständigkeit, persönliche Freiheit und Einbeziehung in Entscheidungen. Arbeit ist im modernen Ansatz ein sinnstiftender Bereich des Lebens, in dem man sich verwirklichen kann. 

www.karrierebibel.de

Über den Autor/in

Miriam von Chamier

Miriam von Chamier

Miriam von Chamier lebt als freie Redakteurin in der Nähe von Köln. Einer der Schwerpunkte ihres Schreibens liegt im Bereich Marketing und B2B. Darüber hinaus ist sie immer auf der Suche nach aktuellen und interessanten Themen, die es lohnen, darüber zu berichten.